Qualifiziertes Arbeitszeugnis: Dein Wegweiser zu Bewertung, Recht und Karriere

Veröffentlicht am 18.08.2025 von Renate Wienkopp

Du verlässt deinen Arbeitgeber – freiwillig oder unfreiwillig – und erhältst ein Dokument, das über deine berufliche Zukunft entscheidet: das qualifizierte Arbeitszeugnis. Es ist mehr als eine bloße Bescheinigung deiner Tätigkeit. Es ist ein Schlüssel für deine nächsten Karriereschritte, ein Spiegel deiner Leistungen und deines Verhaltens am Arbeitsplatz. Doch was steckt wirklich hinter den wohlwollenden Formulierungen? Wie kannst du dein Zeugnis entschlüsseln, deine Rechte durchsetzen und dich vor Stolperfallen schützen? In diesem umfassenden Magazinartikel erhältst du Antworten auf alle Fragen rund um das qualifizierte Arbeitszeugnis – praxisnah, juristisch fundiert und mit vielen Beispielen aus der Arbeitswelt.

 

Was ist ein qualifiziertes Arbeitszeugnis? 

Definition und Bedeutung

Ein qualifiziertes Arbeitszeugnis ist ein schriftliches Dokument, das dir dein Arbeitgeber bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausstellt. Es enthält nicht nur Angaben zu Art und Dauer deiner Tätigkeit (wie das einfache Zeugnis), sondern bewertet zusätzlich deine Leistungen und dein Verhalten im Betrieb. Damit ist es das wichtigste Dokument für deine weitere berufliche Laufbahn.

Gesetzlicher Anspruch: § 109 Gewerbeordnung

Du hast einen klaren, einklagbaren Anspruch auf ein qualifiziertes Arbeitszeugnis, geregelt in § 109 Gewerbeordnung (GewO). Dieser Anspruch gilt unabhängig von der Dauer deines Arbeitsverhältnisses, deiner Position oder der Branche. Auch Praktikanten, Minijobber und Auszubildende können ein qualifiziertes Zeugnis verlangen. Wichtig: Du musst als Arbeitnehmer explizit ein qualifiziertes Zeugnis anfordern, da der Arbeitgeber sonst nur zur Ausstellung eines einfachen Zeugnisses verpflichtet ist.

Einfaches vs. qualifiziertes Arbeitszeugnis

 



Merkmal

 

Einfaches Arbeitszeugnis

 

Qualifiziertes Arbeitszeugnis

 

Angaben zu Art & Dauer

 

Ja

 

Ja

 

Tätigkeitsbeschreibung

 

Ja

 

Ja

 

Bewertung der Leistung

 

Nein

 

Ja

 

Bewertung des Verhaltens

 

Nein

 

Ja

 

Aussagekraft für Bewerbungen

 

Gering

 

Hoch

 

Das qualifizierte Zeugnis ist für Bewerbungen fast immer die bessere Wahl, da es potenziellen Arbeitgebern ein umfassendes Bild von dir vermittelt.

Form und Frist

Das Arbeitszeugnis muss schriftlich und im Original ausgestellt werden – eine E-Mail oder ein Fax sind unzulässig. Es muss wohlwollend und wahrheitsgemäß formuliert sein. Dein Anspruch entsteht mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses, du kannst das Zeugnis aber auch schon während einer Kündigungsfrist oder bei berechtigtem Interesse (z. B. bei Versetzung) als Zwischenzeugnis verlangen.

Aufbau und Inhalt: Wie sieht ein qualifiziertes Arbeitszeugnis aus?

Typische Gliederung

Ein qualifiziertes Arbeitszeugnis folgt meist diesem Aufbau:

  • Briefkopf des Arbeitgebers
  • Überschrift („Arbeitszeugnis“)
  • Einleitung (Name, Geburtsdatum, Beschäftigungszeitraum, Position)
  • Tätigkeitsbeschreibung (Aufgaben, Verantwortungsbereiche, Projekte)
  • Leistungsbeurteilung (Arbeitsbereitschaft, Fachwissen, Arbeitsweise, Erfolge)
  • Verhaltensbeurteilung (Umgang mit Vorgesetzten, Kollegen, Kunden)
  • Schlussformel (Bedauern, Dank, Zukunftswünsche)
  • Ort, Datum, Unterschrift

Die Leistungsbeurteilung

Hier wird bewertet, wie engagiert, kompetent und erfolgreich du deine Aufgaben erfüllt hast. Typische Kriterien sind:

  • Arbeitsbereitschaft und Motivation
  • Fachkenntnisse und Qualifikation
  • Arbeitsweise (Sorgfalt, Selbstständigkeit, Belastbarkeit)
  • Arbeitserfolge und besondere Leistungen
  • Innovationskraft und Problemlösungsfähigkeit

Die Verhaltensbeurteilung

Sie beschreibt dein Sozialverhalten im Arbeitsumfeld:

  • Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Kollegen und Kunden
  • Teamfähigkeit, Kommunikationsstärke, Führungsqualitäten (bei Leitungsfunktion)
  • Integrität, Zuverlässigkeit, Loyalität

Die Schlussformel

Sie ist freiwillig, aber in der Praxis üblich. Sie enthält oft:

  • Bedauern über das Ausscheiden
  • Dank für die Zusammenarbeit
  • Wünsche für die berufliche Zukunft

Das Fehlen einer positiven Schlussformel kann ein versteckter Hinweis auf Konflikte oder Unzufriedenheit sein.

 

Die geheime Sprache der Arbeitszeugnisse: Zeugniscode und Bewertungscodes

Wohlwollend, aber wahr: Die Kunst der Formulierung

Das Zeugnis muss wohlwollend und zugleich wahrheitsgemäß sein. Offene Kritik oder negative Aussagen sind unzulässig. Deshalb hat sich eine eigene Zeugnissprache entwickelt, die auf den ersten Blick positiv klingt, aber zwischen den Zeilen viel verraten kann.

Typische Bewertungscodes: Was bedeuten die Formulierungen?

Die Bewertung deiner Leistung wird meist mit standardisierten Formeln verschlüsselt. Schon kleine Unterschiede in der Wortwahl entscheiden über die Note:

 


Note

 

Typische Formulierung

 

Sehr gut (1)

 

„stets zu unserer vollsten Zufriedenheit“

 

Gut (2)

 

„stets zu unserer vollen Zufriedenheit“

 

Befriedigend (3)

 

„zu unserer vollen Zufriedenheit“

 

Ausreichend (4)

 

„zu unserer Zufriedenheit“

 

Mangelhaft (5)

 

„im Großen und Ganzen zu unserer Zufriedenheit“

 

Ungenügend (6)

 

„bemühte sich, den Anforderungen gerecht zu werden“

 

Schon das Fehlen von „stets“ oder „vollsten“ kann deine Bewertung deutlich abwerten.

Beispiele für Zeugniscodes

  • „Er/Sie zeigte stets sehr großes Engagement.“ (sehr gut)
  • „Er/Sie erfüllte die ihm/ihr übertragenen Aufgaben zu unserer Zufriedenheit.“ (ausreichend)
  • „Er/Sie bemühte sich, den Anforderungen gerecht zu werden.“ (mangelhaft)

Auch bei der Verhaltensbeurteilung gibt es Codes:

  • „Sein/Ihr Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Kollegen und Kunden war stets einwandfrei.“ (sehr gut)
  • „Sein/Ihr Verhalten war insgesamt einwandfrei.“ (ausreichend)

Verbotene Geheimcodes und Fallen

Geheimzeichen, ironische Formulierungen oder doppeldeutige Bemerkungen sind unzulässig. Auch das bewusste Weglassen von Lob oder das Hervorheben von Selbstverständlichkeiten („Er/Sie war stets pünktlich.“) wird als versteckte Kritik gewertet.

Aktuelle Rechtsprechung und Streitfälle: Deine Rechte beim Zeugnis

Anspruch und Durchsetzung
Du hast das Recht auf ein vollständiges, fehlerfreies und wohlwollendes qualifiziertes Arbeitszeugnis. Verweigert dein Arbeitgeber das Zeugnis oder enthält es unzulässige Formulierungen, kannst du auf Ausstellung oder Berichtigung klagen. Die meisten Streitfälle werden vor dem Arbeitsgericht durch Vergleiche gelöst.

Beweislast und Notenstreit

Willst du eine bessere Bewertung (z. B. „sehr gut“ statt „gut“), musst du nachweisen, dass deine Leistungen tatsächlich überdurchschnittlich waren. Umgekehrt muss der Arbeitgeber schlechte Bewertungen belegen können. Das Zeugnis muss mindestens der Note „befriedigend“ entsprechen, sofern keine triftigen Gründe für eine schlechtere Bewertung vorliegen.

Gerichtsurteile zu Form und Inhalt

Keine Tabellenform: Ein qualifiziertes Zeugnis muss im Fließtext verfasst sein. Tabellarische Bewertungen sind unzulässig.
Schlussformel: Du hast keinen Anspruch auf eine Dankes- oder Wunschformel, aber wenn sie in früheren Zeugnissen enthalten war, darf sie nicht grundlos gestrichen werden.
Wohlwollenspflicht: Das Zeugnis darf dein berufliches Fortkommen nicht behindern, muss aber der Wahrheit entsprechen.

 

Tipps und Strategien: So nutzt du dein qualifiziertes Zeugnis optimal

Zeugnis anfordern und prüfen

  • Fordere dein Zeugnis am besten schriftlich an und nenne dabei ausdrücklich, dass du ein qualifiziertes Zeugnis wünschst.
  • Prüfe das Zeugnis sorgfältig auf Form, Inhalt und versteckte Codes.
  • Achte auf die richtige Reihenfolge und auf vollständige Angaben zu deinen Aufgaben und Erfolgen.

Was tun bei Fehlern oder schlechten Bewertungen?

  • Suche zunächst das Gespräch mit deinem Arbeitgeber und bitte um Korrektur.
  • Lege schriftlich Widerspruch ein, wenn keine Einigung erzielt wird.
  • Setze eine Frist zur Änderung und mache konkrete Verbesserungsvorschläge.

Bei anhaltender Weigerung kannst du Klage auf Zeugnisberichtigung erheben.

Zwischenzeugnis: Wann ist es sinnvoll?

Ein Zwischenzeugnis kannst du fordern, wenn du dich intern bewirbst, dein Vorgesetzter wechselt oder längere Abwesenheiten (z. B. Elternzeit) anstehen. Es dient als wichtiger Nachweis deiner Leistungen während des laufenden Arbeitsverhältnisses.

Zeugnisvorlagen und Muster

Nutze professionelle Vorlagen, um dein Zeugnis zu vergleichen oder selbst zu entwerfen. Viele IHKs und Fachportale bieten kostenlose Muster an. Achte darauf, dass die Formulierungen individuell auf deine Tätigkeit und Branche zugeschnitten sind.

 

Trends und wissenschaftliche Perspektiven: Das qualifizierte Zeugnis im Wandel

Digitalisierung und neue Formen der Bewertung

Mit der Digitalisierung verändern sich auch die Anforderungen an Arbeitszeugnisse. Immer mehr Unternehmen nutzen digitale Tools und standardisierte Textbausteine, um Zeugnisse effizient zu erstellen. Gleichzeitig wächst die Bedeutung von individuellen Leistungsnachweisen, Referenzen und Online-Bewertungen (z. B. auf Karrierenetzwerken).

Zeugnisrecht und Diversity

Die Rechtsprechung passt sich gesellschaftlichen Veränderungen an. Diskriminierende oder stereotype Aussagen im Zeugnis sind unzulässig. Auch Soft Skills wie Teamfähigkeit, interkulturelle Kompetenz und digitale Fähigkeiten werden zunehmend explizit bewertet.

Psychologische Bedeutung des Zeugnisses

Für viele Arbeitnehmer ist das Zeugnis nicht nur ein Karrieredokument, sondern auch ein wichtiger Faktor für das Selbstwertgefühl. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass eine positive Bewertung das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten stärkt und die Motivation für neue Herausforderungen erhöht.

 

Checkliste: Dein Fahrplan zum perfekten qualifizierten Arbeitszeugnis

Zeugnis rechtzeitig anfordern: Am besten schriftlich und mit dem Vermerk „qualifiziert“.
Inhalt prüfen: Sind alle Tätigkeiten, Erfolge und Kompetenzen aufgeführt?
Bewertungscodes entschlüsseln: Achte auf die Feinheiten der Formulierungen.
Fehler und Geheimcodes reklamieren: Lass keine unzulässigen Hinweise durchgehen.
Korrektur verlangen: Höflich, aber bestimmt – und mit konkreten Vorschlägen.
Fristen beachten: Setze eine angemessene Frist zur Änderung.
Rechtliche Schritte erwägen: Bei hartnäckiger Weigerung hilft ein Fachanwalt für Arbeitsrecht.
Zeugnis für Bewerbungen nutzen: Hebe positive Bewertungen und Erfolge gezielt hervor.

 

Dein Zeugnis als Karriere-Booster

Das qualifizierte Arbeitszeugnis ist ein zentrales Dokument für deine berufliche Zukunft. Es spiegelt nicht nur deine Leistungen und dein Verhalten wider, sondern entscheidet oft darüber, wie du bei zukünftigen Arbeitgebern wahrgenommen wirst. Mit dem richtigen Wissen, einem kritischen Blick auf die Formulierungen und dem Mut, deine Rechte einzufordern, kannst du dein Zeugnis aktiv gestalten und für deine Karriere nutzen. Bleibe aufmerksam, informiere dich regelmäßig über aktuelle Entwicklungen im Zeugnisrecht und nutze professionelle Unterstützung, wenn nötig. So machst du aus deinem Arbeitszeugnis einen echten Karriere-Booster.