Gesundheitliche Probleme können den Arbeitsalltag grundlegend beeinflussen – manchmal bis zum Punkt, an dem eine Kündigung unausweichlich scheint. Doch was bedeutet das für dich als Arbeitnehmer? Wie läuft eine Kündigung aus gesundheitlichen Gründen ab? Was sind deine Rechte? Und welche Wege gibt es, den Arbeitsplatz zu erhalten oder einen fairen Übergang zu gestalten? In diesem Artikel erfährst du alles Wissenswerte – von rechtlichen Rahmenbedingungen über aktuelle Trends bis hin zu praxisnahen Empfehlungen.
Rechtliche Grundlagen – deine Absicherung und die Rolle der Gerichte
Die Kündigung wegen Krankheit ist zwar kein Alltagsthema, aber auch kein Tabu. Entgegen der landläufigen Meinung darf ein Arbeitgeber auch während einer Arbeitsunfähigkeit kündigen. Die juristische Grundlage in Deutschland ist das Kündigungsschutzgesetz (KSchG), ergänzt durch Regelungen aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und dem Sozialgesetzbuch IX (SGB IX). In Österreich und der Schweiz gelten ebenfalls strenge Bedingungen – als Arbeitnehmer bist du also nicht schutzlos.
Für eine krankheitsbedingte Kündigung müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein:
Negative Gesundheitsprognose: Es muss absehbar sein, dass du auch in Zukunft weiterhin lang oder häufig erkrankt bist – eine Besserung ist nicht zu erwarten.
Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen: Fehlzeiten müssen den Betrieb ernsthaft belasten, z. B. durch Lohnfortzahlung oder Produktionsausfälle.
Interessenabwägung: Dein Interesse am Erhalt des Arbeitsplatzes wird gegen das wirtschaftliche Interesse deines Arbeitgebers abgewogen. Nur wenn die Belastung für den Betrieb unzumutbar wird, ist eine Kündigung gerechtfertigt.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) und Landesarbeitsgerichte sind dabei die maßgeblichen Instanzen. Gerade in Urteilen der letzten Jahre wird deutlich: Die Schwelle für eine wirksame Kündigung liegt hoch. Typische „Jedermannserkrankungen“ wie Grippe reichen nicht. Häufige Kurzerkrankungen oder eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit müssen vorliegen und das Unternehmen muss nachweisen, dass keine alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten existieren.
Ablauf und Voraussetzungen einer Kündigung aus gesundheitlichen Gründen
Viele Arbeitnehmer fragen sich: Wann genau droht mir eine Kündigung? Der Ablauf ist hierbei klar geregelt:
Prüfung der Gesundheitsprognose: Ein ärztliches Attest oder die Analyse der Fehlzeiten der letzten drei Jahre sind entscheidend. Mehr als sechs Wochen Krankheit pro Jahr über mehrere Jahre können zur Negativprognose führen.
Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM): Ist ein Mitarbeiter länger als sechs Wochen arbeitsunfähig, muss der Arbeitgeber ein BEM anbieten – das ist gesetzlich vorgeschrieben und betrifft Betriebe jeder Größe. Ziel ist es, mit dir zusammen Maßnahmen zu erarbeiten, die die Arbeitsfähigkeit erhalten oder wiederherstellen können. Falls du das BEM ablehnst, ist das dein gutes Recht. Allerdings kann sich das im Kündigungsschutzprozess nachteilig auswirken. Das BEM sollte also eine Chance sein, gemeinsam Lösungen zu finden.
Interessenabwägung: Kann dir kein alternativer Arbeitsplatz angeboten werden und sind die betrieblichen Belastungen übermäßig hoch, kann eine Kündigung ausgesprochen werden. Eine Abmahnung ist in der Regel nicht erforderlich – da eine Erkrankung meist nicht steuerbar ist.
Achtung: Vor einer endgültigen Kündigung müssen alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sein, etwa Versetzungen oder Teilzeitangebote. Die Kündigung darf nie das erste Mittel sein!
Arbeitgeberpflichten: BEM und Nachweisführung
Dein Arbeitgeber trägt bei einer Kündigung aus gesundheitlichen Gründen die Beweislast. Er muss nachweisen, dass:
- Du unerwartet und dauerhaft arbeitsunfähig bist, und dies auch künftig so sein wird.
- Die betrieblichen Abläufe erheblich gestört sind.
- Alle Möglichkeiten zur Weiterbeschäftigung geprüft wurden, einschließlich geänderter Tätigkeiten, Versetzungen oder Teilzeitkontingente.
- Ein ernsthaftes BEM angeboten wurde – und zwar nicht nur formell, sondern inhaltlich auf Hilfestellungen und Lösungen ausgelegt.
Arbeitnehmerrechte: Widerspruch und Klageoptionen
Falls dir wegen Krankheit gekündigt wird, hast du starke Rechte:
Kündigungsschutzklage: Du kannst vor dem Arbeitsgericht gegen die Kündigung klagen. Die Richter prüfen dann die Gesundheitsprognose, die betrieblichen Belastungen sowie die Abwägung der Interessen.
Teilnahmerecht am BEM: Du musst am BEM nicht teilnehmen, solltest es aber ernsthaft in Erwägung ziehen, um Lösungsoptionen zu schaffen.
Recht auf alternative Beschäftigung: Dein Arbeitgeber muss dich auch auf einem anderen, leichteren Arbeitsplatz berücksichtigen, wenn dies zumutbar ist.
Beteiligung des Betriebsrats: Der Betriebsrat wird bei jeder Kündigung beteiligt und kann bei sozialwidriger Kündigung widersprechen.
Gerichte wie das BAG differenzieren: Je nach Dauer der Anstellung, betrieblichen Belastung und persönlichen Umstände wird ein individueller Ausgleich gesucht. Bei langjähriger Betriebszugehörigkeit und „Störungsfreiheit“ wägen die Richter besonders sorgfältig ab.
Sozialrechtliche Konsequenzen: Sicherung der Existenz nach der Kündigung
Eine Kündigung aus gesundheitlichen Gründen hat weitreichende Folgen:
Krankengeld und Arbeitslosengeld
- Nach dem Ende der Lohnfortzahlung (bis zu 6 Wochen) erhältst du Krankengeld von der Krankenkasse.
- Nach einer Kündigung kannst du dich arbeitslos melden und hast Anspruch auf Arbeitslosengeld – allerdings kann die Agentur für Arbeit eine Sperrzeit verhängen, falls du selbst kündigst.
- Menschen, die dauerhaft arbeitsunfähig sind und keine realistische Chance auf Wiedereingliederung haben, können unter Umständen eine Erwerbsminderungsrente beantragen.
Rentenfragen
Eine krankheitsbedingte Kündigung ist oft der erste Schritt in Richtung Erwerbsminderungsrente. Hier gelten differenzierte Voraussetzungen. Ein Antrag auf Rente sollte auf jeden Fall frühzeitig gestellt werden, um finanzielle Nachteile zu vermeiden.
Probleme für besonders schutzbedürftige Gruppen
- Schwerbehinderte haben zusätzlichen Kündigungsschutz.
- Für ältere Mitarbeiter können spezielle Regelungen greifen, etwa der Übergang in eine betriebsbedingte Altersrente.
Empfehlungen für Arbeitnehmer
- Behalte deine Gesundheit im Blick und dokumentiere alle Maßnahmen zur Wiedereingliederung.
- Nutze das BEM als Chance, aktiv mitzugestalten – offene Kommunikation zahlt sich aus.
- Lass dich bei drohender Kündigung unbedingt rechtlich beraten, idealerweise durch Gewerkschaften oder Arbeitsrechtsexperten.
- Prüfe alle Alternativen, bevor du eine Kündigung akzeptierst – selbst eine andere Tätigkeit, Jobwechsel oder Weiterbildung können der Wendepunkt sein.
- Erkundige dich über Sozialleistungen und Rentenoptionen. Ein frühzeitiger Antrag schützt vor finanziellen Einbußen.
Eine Kündigung aus gesundheitlichen Gründen ist kein Automatismus und schon gar kein „Makel“. Sie ist das Ergebnis komplexer Interessenabwägungen, strenger rechtlicher Vorgaben und oft auch der letzten Stufe eines längeren Prozesses zwischen dir und deinem Arbeitgeber. Wer rechtzeitig kommuniziert, Kooperationsangebote wahrnimmt und professionell auf Unterstützung setzt, hat die besten Chancen auf eine für alle Seiten verträgliche Lösung – vom Wiedereinstieg bis zur gesicherten Existenz danach.